Matthias Brodowys, Rebecca Carrington und Kay Ray treten zum Abschluss des Festivals auf – und sinnieren über Sigmar Gabriel und Madonna, reißen schlüpfrige Witze und bieten manch atemberaubende Performance.
EIN RAUSCHARTIGER ZUSTAND
Er würde auch mal gerne im Berliner Olympia-Stadion auftreten – aber nur vor sechs Personen: Kay Ray, der Paradiesvogel unter den Entertainern, kehrt im Gloria-Theater beim Gastspiel mit Band (Jürgen Scholz, Gitarre; Stefan Endrigkeit, Bass; Henning Brandt, Schlagzeug; Fabian Schubert, Keyboard) sein Innerstes nach außen – oder sein Äußeres nach innen. Wie auch immer man es interpretieren mag, dass sich der bekennende Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter innerhalb seiner vierstündigen Performance der äußeren Hüllen komplett entledigt und den Blick auf die leider ach so vergängliche Schönheit des menschlichen Körpers freigibt. Das ist allerdings nur ein Aspekt, unter dem man den Abend betrachten kann. Hinzu kommen die Arrangements bekannter und weniger bekannter Songs, die Kay Ray mit einem Harmonizer aufpeppt, schlüpfrige Witze aus dem Nähkästchen eines Travestie-Künstlers, garstige Kommentare zu allem, was Politik und Gesellschaft an Abartigkeiten bietet – und die hohe Kunst, sein bunt gemischtes Publikum in einen rauschartigen Bewusstseinszustand zu versetzen, aus dem man am liebsten nie mehr auftauchen möchte. Anders formuliert: Die Show beginnt dort, wo der Spaß aufhört.
MATTHIAS BRODOWYS ALPTRÄUME UND TRAUMHAFTE MUSIK
Etwa wenn Brodowy sich an Degenhardt anlehnt und böse singt „Spiel mit Diktatorenkindern“. Zwischendurch klärt Brodowy auf, dass Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst demnächst Bauleiter der Hamburger Elb-Philharmonie werde. Und dann sind da noch seine zum Brüllen komischen Albträume – darin ist Brodowy zum Beispiel Sigmar Gabriel und trifft im Wald auf Sahra Wagenknecht. Ein toller Abend!
CARRINGTON, BROWN UND EIN CELLO NAMENS JOE
Ihr Mann Colin nennt sie „lecker Rebecca“, zusammen mit dem 232 Jahre alten Cello Joe zeigt das Trio auf der Kay Ray noch angezogen: Im Gloria gab der Paradiesvogel unter den Entertainern eine vierstündige Performance. Foto: Goyert Bühne der Comedia unter dem Titel „Dream a Little Dream“ wie sie wurden, was sie sind. Die Stationen ihres Lebens werden in ihrer biografisch unterfütterten Show lebendig: angefangen bei den Kindheits-Träumen über Rebecca Carringtons Erfahrungen als Musikerin in einem Orchester, das den Soundteppich für Blockbusters von gestern lieferte bis hin zur Entscheidung, sich in Deutschland niederzulassen. Carrington-Brown lassen die Stationen ihrer unterschiedlichen Karrieren Revue passieren. Sie habe eine „große Metamorphose“ durchgemacht, betont Rebecca Carrington, die zunächst als Solistin die Kleinkunst-Bühnen eroberte und nun mit ihrem Gatten Colin Brown als gleichberechtigt agierendem Partner unterwegs ist. Das gipfelt schließlich in der alles umfassenden Frage, ob Madonna besser ist als Michael Jackson es jemals war – ein mit Verve und Witz umgesetzter Wettstreit, der nur eine Antwort zulässt: Madonna macht das Rennen. Nicht nur dafür gab's viel Beifall.
WILDE ORKS IN DER TONANLAGE - DAS UKULELE ORCHESTRA OF GREAT BRITAIN
Ein iPad auf dem Mischer abgelegt, zwei Knöpfe getroffen, die man zur Sicherheit gleichzeitig drücken muss, um die komplette Programmierung des Pultes zu löschen – und schon ist der bis dahin gute Sound hinüber. Genau dieses Malheur passierte am Freitagabend der Tontechnikerin des Ukulele Orchestra of Great Britain beim ansonsten umjubelten Konzert in der Philharmonie. Zum zweiten Mal sei 2011 hatten die acht Musiker den Konzertsaal ausverkauft und begeisterten mit ihren viersaitigen Mini-Instrumenten. Da kam Prince mit „Kiss“ genau so zu Ehren wie Isaac Hayes’ Shaft, und sogar das Model von Kraftwerk vertrug es, von den Briten in deutscher Sprache interpretiert zu werden. Seit 28 Jahren spielen die Musiker des Ukulele Orchestra zusammen, und trotz der virtuosen Routine merkt man ihnen immer noch den Spaß an der Sache an, den sie mit trockenem Brit-Humor unters Volk bringen – etwa wenn sie einen Pop-Song von Stockhausen ankündigen und zum Mitsingen auffordern. Oder wenn aus Mozart ein Wolfgang Amadeus Notarzt wird. Toll auch „Pinball Wizard“ von den Who als Shanty. Der angebliche Grund für die dann doch behobene Tonmisere war augenzwinkernd auch bald gefunden: Es hatten wilde Orks in der Anlage gewütet.
(Artikel von Von Marianne Kolarik und Horst Piegeler)